Kolumne

Tim Thoelke über Pferde, Entenköpfe und dunkle Wolken

 

 

Foto: Enrico Meyer

Vor einigen Tagen habe ich mir mal wieder die Zeit genommen, aufs Land hinauszufahren, um in der Natur spazieren zu gehen. Nach einer Weile kam ich an einer Pferdekoppel vorbei, und sobald die Tiere mich erblickt hatten, trotteten sie auch schon in meine Richtung. Schnell war etwa ein halbes Dutzend der Gäule am Gatter, und ich hatte nicht die geringste Ahnung, was diese seltsamen Wesen von mir wollten. Ihr verstohlener Blick kam mir aber ziemlich abschätzig vor und bestätigte meine These, dass Pferde mich aus unerfindlichen Gründen nicht mögen. Schon vor langer Zeit hatte ich beschlossen, dieses Gefühl zu erwidern.

 

Als ich vor einigen Jahren eine überaus attraktive junge Frau kennenlernte, die amateurmäßig Dressurreiten ausübte, verschwieg ich ihr diese Antipathie natürlich. Eines Tages fragte sie mich, ob ich sie zu einem Wettkampf begleiten würde, und da ich ebenso großes Interesse an ihr hatte, wie sie am Pferdesport, sagte ich zu. Am Ort des Geschehens war ich dann doch ziemlich beeindruckt, dass meine neue Bekanntschaft diese störrische Tierart tatsächlich dazu bringen konnte, genau das zu tun, was sie sollte. Die Regeln, Taktiken, Befehle etc. blieben für mich allerdings vollkommen nebulös. Ich orientierte mich bei meiner Beurteilung des Turnierverlaufs einfach an den Reaktionen einer älteren Dame, die direkt neben mir auf einem mitgebrachten Klappstuhl saß und sich während der Übungen auf einen Stock mit silbernem Entenkopfknauf stützte. Der Entenkopf war für mich ein klares Zeichen von Sachverstand, also klatschte ich einfach mit, wenn sie klatschte. Sagte sie: „Schöne Ganaschen“, zog ich wissend die Augenbrauen hoch, hieß es: „Er muss mehr mit der Vorhand machen“, nickte ich fachkundig. Das funktionierte recht gut und niemand schien zu bemerken, dass für mich jeder neue Durchgang exakt so aussah wie der vorhergehende.

 

Die junge Frau, mit der ich hergekommen war, kam direkt nach ihrem Einsatz zu mir und umarmte mich. Da sie über beide Ohren strahlte, gratulierte ich zu einer tollen Leistung und sie schien sehr zufrieden zu sein. Ich fand sie hübscher als je zuvor und als sie mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, mit ihr morgen zusammen auszureiten, sagte ich, ohne eine Sekunde zu zögern: „Ja, das wäre doch super!“

 

Als sie mich am nächsten Nachmittag in ihrem zugigen Geländewagen auf einen Pferdehof in der Nähe von Leipzig fuhr, hatte ich ein ganz mieses Gefühl im Bauch. Wir betraten den nach Mist stinkenden Stall, der zur Hälfte aus Spinnen und Fliegen zu bestehen schien, und sie zeigte auf die Box neben ihrem eigenen Pferd. „Den nimmst du“, sagte sie. Aus der Dunkelheit starrte mich ein riesiger schwarzer Hengst feindselig an. Auf dem Schild an der Box stand Black Devil, und es hätte mich nicht gewundert, wenn aus seinen Nüstern Rauch gekommen wäre. Ach du Scheiße, ist der groß!, dachte ich entsetzt und sagte: „Du weißt schon, dass ich kein Profi bin, oder?“ Beunruhigenderweise lachte sie nur fröhlich und machte sich daran, einen Sattel auf das Pferd zu werfen.

 

Als ich kurze Zeit später versuchte, auf das Biest zu steigen, schien der Groschen bei ihr langsam zu fallen. Sie bot an, das Tier und mich an der Leine hinter sich herzuführen, was ich dankend annahm. Als wir den Hof im Entenmarsch verließen, war der Himmel voller dunkler Wolken. Als wir etwa fünfhundert Meter weit gekommen waren, donnerte es zum ersten Mal und mein Höllenross zuckte heftig zusammen. Nach tausend Metern donnerte es lauter und Black Devil machte einen Satz zur Seite. Dann fing es an zu hageln. Meine Freundin drehte sich zu mir um und rief: „Wir müssen sofort zurück!“

 

Was soll ich sagen, wir hätten es tatsächlich fast geschafft – doch kurz vor der Einfahrt zum Hof donnerte es noch einmal. Es donnerte so infernalisch laut, als wäre es das letzte Donnern der Welt. Und Black Devil drehte durch. Er wieherte irre, bäumte sich auf, stellte sich auf die Hinterbeine und ließ mir nicht den Hauch einer Chance. Ich flog in hohem Bogen durch den Gewitterhimmel und knallte auf die Straße. Trotz der aufblitzenden Schmerzen rollte ich mich verzweifelt zur Seite, denn mir war klar, dass mich das Pferd im nächsten Augenblick zertrampeln würde, und ich versuchte alles, um aus der Gefahrenzone zu kommen. „Halt das Pferd fest!“, schrie meine neue Flamme, doch sie war schon von ihrem Pferd gesprungen, hatte einen Stock vom Straßenrand genommen und scheuchte Black Devil damit in die Umzäunung des Hofes. Mit der anderen Hand zog sie ihr eigenes Pferd hinter sich her und führte so beide Tiere im Laufschritt durch den strömenden Regen über den Hof und in den Stall. Von mir nahm sie keine Notiz, ich lag immer noch auf der Straße.

 

Wenig später saß ich alleine, ohne meine Herzensdame, vor dem prasselnden Kamin des benachbarten Dorfgasthofs und betäubte meine schmerzende Hüfte mit einem alten Whisky. Ich blickte durch das Fenster nach draußen in den Abend. Es regnete noch immer, feuchter Nebel lag in der Luft. „Dieses Dorf ist zu klein für uns beide, Black Devil“, sagte ich leise und bestellte ein Taxi nach Leipzig.

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